Das Fußballspiel 1 ist ein Laufkampfspiel von größter Vielseitigkeit . Ls verlangt den Einsatz der ganzen Persönlichkeit , wenn man allen Anforde¬ rungen gerecht werden will . Wie mannigfach die psychophysischen Kräfte beansprucht werden , geht schon aus der Tatsache hervor , daß während der 1^ -ständigen Spielzeit in gleicher Weise Schnelligkeit wie A u s d a u e r verlangt werden . Das ausgeprägte Stellungsspiel , wie es unsere besten Mannschaften pflegen , läßt den Spieler nie zur Ruhe kommen , stellt also hohe Anforderungen an die Widerstandskraft gegen Ermüdung . Ebenso wie der Ball fast dauernd in Bewegung ist , soll auch der Spieler ständig sich tummeln , um den Gegner zu decken , sich selbst freizustellen oder mit plötzlichem Start einzugreifen . Dabei muß er nicht nur , wie z . B. der Leichtathlet , den Lauf in der Vorwärtsrichtung beherrschen , sondern er muß auch nach rückwärts , nach der Seite , in allen Zwischenrichtungen , in Bogenlinien , Drehungen und Wendungen sich bewegen, ebenso den Sprung aus dem Stand wie aus dem Lauf sicher vollführen können — und das alles im Kampf mit dem stetig hindern¬ den Gegner . Sich trotzdem durchzusetzen , gelingt nur mit einem beträchtlichen Auf¬ wand von Kraft und Geschicklichkeit , von Eigenschaften , die schon zur Beherrschung der Balltechnik („Ballbe - Jiandlung“ ) (Abb . 262 ) benötigt werden . Alle diese mannigfachen Bewegungen des Körpers stellen für die psycho-physische Koordination Leistungen dar, die selten im Sport in solcher Vielseitigkeit und Dauer, in solchem Wechsel und Höchstmaß zu beobachten sind.
Auch innerhalb der Mannschaft selbst zeigen sich zwischen Stürmern , Läufern , Verteidigern einerseits und Torwart andererseits charakteristische Unterschiede der Leistung und Eignung, die zu der Notwendigkeit einer Unterteilung der allgemeinen Fußballeignungs -Feststeilung führen. Einige kurze Hinweise mögen zunächst die Bedeutung der psycho-physischen Sinnestüchtigkeit zeigen. Der allgemeine Sinn des Menschen, besonders der Tast -, Kraft -, Muskel - und Gleichgewichtssinn , wird vielfältig beansprucht Gute Spieler können durch ihren ausgeprägten Tast - und Gelenksinn (Abb . 263 und 264 ) den Ball führen, treiben, sogar zuspielen, ohne hinzusehen, sie fühlen die Lage des Balles am Fuß durch das Leder des Stiefels hindurch. Schärfe und Richtung des Stoßes werden geregelt durch den Kraft - und Muskel sinn (Abb . 265 und 266 ), wobei auch die Gelenkempfindung eine wesentliche Rolle spielt . Die Treffsicher¬ heit , unterstützt durch das optische Abschätzungsvermögen , ist ausschlag¬ gebend für jeden Stoß , besonders , wenn es gilt , ein Tor zu erzielen (Abb . 267 und 268 ). Vor allem braucht der Fußballspieler einen fein ausgeprägten statischen Sinn , um trotz gegnerischen Widerstandes jederzeit Körper und Fuß in die richtige Gleichgewichtslage zu bringen und den Ball nach der guwollten Stelle zu befördern . Ein gutes G e h ö r bedeutet insofern einen Vorteil , als durch halblaute Zurufe innerhalb der eigenen Mannschaft eine Verständigung erfolgen kann und kein Schritt überflüssig getan zu werden braucht , sobald die Pfeife des Schiedsrichters das Spiel unterbricht . Ganz besondere Anforderungen werden an den Gesichtssinn gestellt . Unaufhörlich müssen Bail , Gegner und Mitspieler beobachtet wer¬ den . Auf Grund des durch den Gesichtssinn Aufgenommenen hat man die geeigneten Maßnahmen zu treffen : sich zu stellen , den Gegner zu decken oder sich selbst freizustellen . Drehungen und Schwingungen des Balles müssen genau erfaßt werden , damit danach der ankommende Ball richtig „gestoppt“ , d. h. angehalten, oder „verwandelt“ , d. h. gleich weitergespielt wird.
Ein genaues Stoppen , Zuspielen und Ballverteilen wird erleichtert , wenn man ein gutes A u g e n m a ß für Strecken und Winkel 2) hat , wenn man in der Lage ist , die Entfernung des Balles , des Gegners und des Mitspielers richtig abzuschätzen . (Vgl . Abb . 269 .) Auch die Farbentüchtigkeit spielt eine gewisse Rolle , da bei dem schnellen Wechsel der Stellungen oft nur ein kurzer Blick zur Verfügung steht , um Freund und Feind an der verschiedenfarbigen Spielkleidung zu unterscheiden. Um „Stellung zu halten“ , d. h. um seinen bestimmten Wirkungskreis auszufüllen , braucht jeder Spieler räumliche Vorstellungskraft.
Räumliche Kombination sgabe ist unerläßlich , um aus dem Gedränge den Schuß aufs Tor richtig anzusetzen oder auch in der höchsten Bedrängnis den Ball von dem eigenen Tor so wegzubefördern , daß er aus dem Bereich der feindlichen Spieler kommt . Fehlt diese Eigenschaft , so sehen wir oft , wie eine gute Torgelegenheit nicht ausgenutzt oder ein Ball vom Verteidiger — in Verkennung der Richtung der Spielsituation — ins eigene Tor gelenkt wird . Von Wichtigkeit ist ferner eine zuverlässige Geschwindig¬ keit s s c h ä t z u n g . Im vollen Lauf gilt es , dem Nebenspieler .so „zuzu¬ passen“ , daß er nicht abzustoppen braucht , sondern den Ball gerade richtig erreicht , was häufig nicht der Fall ist , wenn der Ball zu weit vorgelegt war . Viel Kraft kann man sparen , wenn die Geschwindigkeit von Ball und Gegner richtig eingeschätzt wird , da man dadurch unnütze Laufarbeit vermeidet , den Angriffspunkt zweckmäßig wählt und selbst rechtzeitig abgibt . Verfügt nun ein Spieler über alle ebengenannten Eigenschaften in noch so hohem Maße , so wird er doch nie als erstklassiger Fußballer be¬ zeichnet werden , falls er nicht auch die rein psychischen Eigenschaften aufzuweisen hat , die gerade beim Fußballspiel in einem überraschend hohen Maße gebraucht werden. Vor allem soll zunächst die Aufmerksamkeit leicht erregbar sein , der Spieler soll auf kurzdauernde Reize schnell reagieren ; dabei darf jedoch unter der Schnelligkeit der Auffassung nicht ihre Zuverlässigkeit leiden , sonst kommt es vor , daß statt des Gegners der eigene Mann angegriffen wird . Auch ein möglichst großer Umfang der Aufmerksamkeit ist wünschenswert . Aus Körperhaltung , Fußansatz und Ball -Lage muß die Absicht des Gegners blitzschnell erkannt werden , um entweder den Ballbesitzer sofort anzugreifen oder sich richtig zu stellen . Der konzentrative Aufmerksamkeitstyp wird dabei dem distributiven gegen¬ über im Nachteil sein ; denn je größer die Fähigkeit ist , einmal die Auf¬ merksamkeit verteilend auf den Ball und Ballbesitzer zu lenken , zum anderen gleichzeitig die Stellung der Gegner und Mitspieler nicht außer acht zu lassen , desto besser wird jeder Spieler seine Aufgabe lösen . Un¬ erläßlich ist die distributive Aufmerksamkeit bei der Befolgung der Abseits¬ regel . Oft ist ein Stürmer , der in der Hitze des Angriffs nicht die Stellung der gegnerischen Verteidiger beachtet hat , dadurch in Abseitsstellung geraten und hat den erfolgversprechenden Angriff zuschanden gemacht . Eine gewisse Dauerspannung der Aufmerksamkeit muß wenigstens im Feld — beim Torwächter nur in den bedrohlichen Situationen — wäh¬ rend der ganzen Spielzeit vorhanden sein , und es ist aus der Erfahrung vielfach bekannt , daß Mannschaften oft nur durch ein vorübergehendes Nachlassen der erforderlichen Konzentration den Sieg verscherzt haben . Bei den Gedächtnisleistungen 3) ist eine Verbindung von motorischer und visueller Merkfähigkeit vorteilhaft ; die zweckmäßigen Be¬ wegungen müssen wirklich in Fleisch und Blut übergegangen sein , wenn sie ohne Zeit - und Kraftverlust im rechten Augenblick instinktiv und zielsicher ausgeführt werden sollen . Die Haltung - des Gegners , die Stellung aller Spieler muß jederzeit klar vor dem geistigen Auge stehen . Je genauer und umfangreicher das Gedächtnis ist , je besser und klarer frühere Spiellagen vorgestellt werden können , desto vielseitiger , abwechslungs - und damit erfolgreicher können Angriff und Abwehr gestaltet werden .
Schnelligkeit der geistigen Auffassung muß sich zu guter Urteilskraft gesellen, denn man soll schneller als der Gegner eine Spiellage erkennen und den Gegner von vornherein richtig beurteilen , um sich immer als Herr der jeweilig blitzartig wechselnden Situation zu erweisen . Oft haben schon die ersten Minuten über den Ausgang eines Spieles entschieden , weil die eine Mannschaft die ebengenannten Eigenschaften in überragendem Maße besaß . Mit ihnen verwandt ist Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit , die der gute Fußballer in jeder Spiellage , bei Verteidigung und Angriff, braucht und die in der gesamten Fachliteratur eine eingehende Würdigung finden . Ein hervorragendes Merk¬ mal, das dem Spiel oft eine unvorhergesehene Wendung gibt und jedesmal den Beifall und die Begeisterung der Zuschauer weckt , ist weiter Findig¬ keit und Pfiffigkeit : die Gabe , den Gegner durch geschickte Be¬ wegungen des Körpers , des Fußes , des Gesichtsausdruckes zu täuschen und ihn, wenn er dann unzweckmäßige Gegenbewegungen macht , zu über¬ rumpeln . Eng im Zusammenhang damit stehen Gewandtheit und Vielseitigkeit der Kombination , praktisch gesprochen das Ver¬ mögen , nicht nach einem festen Schema zu spielen , sondern alle spieltech¬ nischen Möglichkeiten zu beherrschen , die sog . „enge“ Kombination mit der „weiten“ wechseln zu lassen , durch langsames systematisches Vorarbeiten oder durch „fliegende“ Kombination in Tornähe des Gegners zu kommen usf. Die Durchführung derartiger , zweckentsprechend der jeweiligen Lage an¬ gepaßter und gewandt vorgetragener Angriffe ist das Kennzeichen guter Mannschaften . Dabei kommt ihnen die Originalität dergeistigen Durchdenkung zustatten , die sich z. B. äußert als außergewöhnliche Art , den Ball vorzuspielen , zu kombinieren , den Gegner zu überraschen und ihm Nachteile zu bringen . Mit Anstelligkeit oder praktischer Intelli¬ genz kann man die Fähigkeit bezeichnen , sich auf jedem Posten schnell zurechtzufinden , sei es im Feld oder im Tor . Organisationstalent ist eine Grundbedingung für den Spielführer einer Mannschaft . Ihm liegt die Aufgabe ob, geschickt und zweckvoll einen Mann auf den rechten Platz zu stellen , für Vorbereitung und Durchführung des Spiels und einer ganzen Spielserie Anordnungen zu treffen und dadurch Erfolg und Befriedigung zu schaffen. Wenn wir die Gefühls eigensc haften des Fußballers be¬ trachten , so ist von wesentlicher Bedeutung einmal das Temperament des Spielers . Phlegmatiker und Melancholiker sind unbrauchbar , Grübler , Weltschmerzier und Muttersöhnchen taugen 'nicht für den harten Einsatz der ganzen Persönlichkeit . Das Fußballspiel verlangt Kampfnaturen , die begeistert wagen , nicht überempfindlich sind gegen Kälte und Hitze , Durst und Schmerzen , die alle Entbehrung und Entsagung eines scharfen Trainings nicht scheuen , die weder Befangenheit noch Launenhaftigkeit kennen , eine beherrschte Ruhe selbst im ärgsten Getümmel bewahren und nie ihre Selbstsicherheit verlieren . Zum guten Fußballspieler gehört auch das Vermögen der Einfühlung in den Geist seiner Mannschaft , ge¬ hört die Fähigkeit , die Absicht des Gegners rechtzeitig zu erkennen , sich seinen Nebenleuten und ihrem Spiel anzupassen , unbeeinflußt zu bleiben durch die Haltung des Publikums , durch Fehlentscheidungen des Schieds¬ richters , durch noch so hartnäckigen Widerstand des Gegners . Ohne die Fähigkeit zur Einordnung und Unterordnung wird kein Spieler seiner Mannschaft wirklich nützen ; diese beiden Eigen¬ schaften lassen überhaupt erst die elf Spieler zu einem neuen übergeordneten Organismus , zu einer Mannschaft , werden , die wie unter einer herrschenden Ziel - und Siegidee ihren besonderen Stil erfolgreich anwenden kann .